Col legno Festival in Lucca

 Davide Cabassi spielt den Wendl&Lung Flügel Concert I 218

"Col legno Festival" in Lucca: Gustav Kuhns Plädoyer für ein humanistisch und künstlerisch motiviertes Leben

Rattenfänger und Entdeckungsreisen

Von Daniel Wagner

Unbilden gab’s wohl – auf meteorologischer Ebene. Aber von ihnen ließen sich Gustav Kuhn, die Musikerinnen und Musiker seiner Accademia di Montegral sowie die Veranstalter vom Salzburger Musiklabel col legno nicht unterkriegen. Allabendlich geleiteten das Tiroler Improvisationsduett AkkoSax (Siggi Haider und Otto Klingenschmid im Akkordeon-Saxofon-Gespann) gleichsam als Rattenfänger – diesmal nicht im deutschen Hameln, sondern im toskanischen Lucca beheimatet – das neugierige Publikum durch den Convento dell’Angelo in den heiligsten Konzertsaal, in die Kapelle.

Beim Durchschreiten des ehrwürdigen Konventes hoch über den Toren Luccas, der Stadt von Luigi Col, Alfredo Catalani und natürlich Giacomo Puccini, bekam manch konzertsaalgeplagter Großstädter Möglichkeit zur reflektierenden Einkehr. Was war das bisschen Regen schon im Vergleich zu der konzentrierten Ladung an alter und neuer Musik, interpretiert von aufstrebenden und etablierten Künstlern für ein illustres Publikum aus Nah und Fern?

Was war der eine oder andere weniger exakte Ton gegen all die aufregenden Momente mit herausragenden Künstlern, in denen das Feuer der Leidenschaft zur Musik, zum Leben lodert? Und das Alles unter dem Dach des Ordens der Padri Passionisti, die dieses Haus der Accademia di Montegral für schlanke 300 Jahre überlassen haben.

In der Akademie wird nicht nur einfach musiziert: Sie ist Quell ganzheitlich humanistischer, künstlerisch motivierter Lebensführung. Damit sie einer soliden Zukunft entgegenblicken kann, renoviert Gründer Gustav Kuhn mit finanzkräftiger Unterstützung diverser Sponsoren seit dem Jahr 2000 das ehemalige Kloster als intellektuelles Zentrum dieser Idee. Nicht zuletzt zur öffentlichkeitswirksamen Präsentation der umfassenden Arbeit lud Kuhn, im achten Jahr nach Bezug Montegrals, gemeinsam mit dem Hauslabel erstmalig zum "col legno Festival" ein.

Beethoven und Neues

Aller Anfang mag schwer sein, doch mit den gehörten Künstlern, größtenteils Mitglieder der Accademia, wurden die Geburtsstunden (bzw. die vier "Geburtstage") zum auf- und anregenden Gedankenaustausch.

Der italienische Pianist Alfonso Alberti (1976 geboren) machte mit höchst intimen, teils uraufgeführten Klangideen von Gérard Pesson, Niccolò Castiglioni oder Robert HP Platz bekannt, während Jahrgangskollege Davide Cabassi sich über die Tage verteilt den großen Brocken des Klaviertestaments widmete: Beethovens "Pathétique", eine wirklich leidenschaftliche "Appassionata" und dann auch noch die Mondscheinsonate – die besonders im Eröffnungsadagio mit ätherischer Diskretion, ganz ohne romantisierende Effekte bewegte.

Nicht genug der Entdeckungsreise: Hatten die Künstler von "Meta4" schon bei ihrer gefühlvollen Interpretation von Streichquartetten ihrer finnischen Landsleute Kaija Saariaho und Jouni Kaipainen die Herzen der Zuhörer gewonnen, brachten sie gemeinsam mit Cabassi den Saal durch Schumanns Es-Dur Klavierquintett op. 44 endgültig zum Kochen. Allein in der impulsiven Doppelfuge setzten die Künstler durchwegs Maßstäbe für einen neuen Sturm-und-Drang-Ansatz des gar nicht mehr akademischen Meisterwerkes.

Um die exzellente Damenriege nicht zu vergessen: Maria Radoevas Sopran begeistere in Schostakowitschs intimem Spätwerk, Sieben Romanzen nach Worten von Alexander Blok, op. 127.

Eine Überraschung

Maestro Kuhn gelang mit der 17-jährigen Sophie Pacini eine richtige Überraschung. Bei soviel energiegeladenem, aber dennoch mit dem nötigen Sentiment versetztem Schumann ("Carnaval" op. 9) und Liszt (bemerkenswert rasante b-Moll-Sonate!) darf man auf einen baldigen Besuch der deutsch-italienischen Pianistin in Wien hoffen.

Als krönenden Abschluss des letzten Konzertabends brillierte Jasminka Stancul mit Klaviersonaten von Mozart, Schumann und von Ludwig van Beethoven, der quasi ihr Komponist ist. Bei dem selbstverständlichen Zugang der serbischstämmigen Wienerin zur Waldstein-Sonate, op. 53 erklärte sich einmal mehr, wie sie zur Preisträgerin beim Wiener Beethoven-Wettbewerb geworden war. Allein das finale Rondo bestach durch bezaubernde Kantabilität, getragen von der typischen, hier souverän virtuosen Sechzehntelbewegung.

Messe und Mahl

Am Sonntag wurde Gioachino Rossinis "Petite Messe Solenelle" dank des Besuches eines Ordensmannes der Padre Passionisti zur gemeinsamen Feier einer Sonntagsmesse. Denn mit höchsten päpstlichen Ausnahmegenehmigungen versehen, ist diese Kapelle weltweit wahrscheinlich der einzige nach wie vor geweihte Sakralbau, der als profaner Konzert- und Übungssaal genutzt werden darf.

Das anschließende Mittagessen mit Speis, Trank, allerlei toskanischen Spezialitäten und mancher Darbietung von Tarantella bis zu "O sole mio!" wurde weit in den Tag hinein zur rauschenden Festa italiana.

Gustav Kuhn bewies: Lucca ist eine Reise wert – auch im nächsten Jahr!